Haushaltsrede 2023 der Kreistagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Rhein-Kreis Neuss

Swenja Krüppel, Kreistagsabgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Sprecherin für Inklusion, Frauenpolitik, Gesundheit und Prävention
Swenja Krüppel, Kreistagsabgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Sprecherin für Inklusion, Frauenpolitik, Gesundheit und Prävention
Swenja Krüppel, Fraktionsvorsitzende
Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Landrat,
sehr geehrte Damen und Herren,

einleitend möchte ich Ihnen heute eines meiner Lieblingsbücher vorstellen: Es heißt „Factfulness – Ten reasons we’re wrong about the world and why things are better than you think“. In dem Buch zeigen Hans Rosling, Anna Rosling Rönnlund und Ola Rosling – drei Gesundheitswissenschaftler*innen auf, wie unsere Wahrnehmung der Welt oft von unseren Vorurteilen, Klischees und Ängsten beeinflusst wird und uns daran hindert, die Realität objektiv und klar zu sehen. Sie geben praktische Tipps und Werkzeuge, um ein besseres Verständnis für die Welt und ihre Herausforderungen – anhand von Daten – zu entwickeln. Und auch wenn in dem Buch aufgezeigt wird, dass die Welt nicht so schlimm ist, wie wir denken, so wird dennoch kein blinder Optimismus propagiert. Hans Rosling und Co. mahnen dementgegen an, dass man das große Ganze nicht aus dem Auge verlieren soll, aber auch, dass kleine Schritte dennoch Schritte sind. Das große Ganze ist das Ziel, unseren gesellschaftlichen Wohlstand weiterzuentwickeln und dabei möglichst resilient gegen die fünf großen Gefahrenquellen unserer Gesellschaft zu sein. Diese sind: Pandemie, Finanzkrise, Weltkrieg, Klimawandel und starke Armut.

Vor dem Hintergrund der multiplen Krisen ist es umso wichtiger, dass wir als Politik  zusammenarbeiten, um das Beste für die Bürger*innen hier vor Ort im Rhein-Kreis Neuss erwirken zu können. Es ist nicht die Zeit, unsere Energie in Parteiproporz und persönliche Befindlichkeiten zu investieren.

So war für uns GRÜNE klar, dass wir uns auch in diesem Jahr wieder gemeinsam mit unserem Kooperationspartner, der SPD, mit den anderen demokratischen Parteien zusammensetzen und konstruktiv schauen, an welchen Stellen wir den historisch gewachsenen und zum Teil durch langfristige Verträge und in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen beeinflussten „konservativen“ Haushalt, mit unseren sozial-ökologischen Anträgen punktuell optimieren können.

Dabei haben wir unseren Fokus auf folgende drei Schwerpunkte gelegt, auf die ich nun im Folgenden näher eingehen werde:

  1. Krisensichere Finanzpolitik und zukunftssichere Verwaltung
  2. Umfassender Umweltschutz
  3. Solidarische Übernahme von Verantwortung

1. Krisensichere Finanzpolitik und zukunftssichere Verwaltung

Krisensicher aufgestellt zu sein bedeutet, dass alle Ebenen der kommunalen Verwaltung hinsichtlich der sozial-ökologischen Herausforderungen bestmöglich handlungsfähig sind. Für uns GRÜNE ist es daher wichtig, einen solidarischen Umgang mit unseren Kommunen zu pflegen. Dazu gehört vor allem eine rücksichtsvolle Haushaltspolitik. Bei unserem Kreishaushalt ist es selbstverständlich erfreulich, dass die Haushaltsergebnisse regelmäßig wesentlich besser sind als die Planansätze. Genauso selbstverständlich ist es für uns, diese Überschüsse auch an die Kommunen zurückzugeben.

Es kann doch nicht sein, dass der Kreis – insbesondere in Krisenzeiten – das Geld hamstert, wie manch anderer das Klopapier.

Daher begrüßen wir ausdrücklich, dass diese Sichtweise mittlerweile einvernehmlich im Kreistag geteilt wird und wir diesen Weg als Kreistag seit dem Haushalt 2021 jedes Jahr gehen. Hier bedarf es aber noch der grundsätzlichen Klärung. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, gemeinsam ein Verfahren zu erarbeiten, wie wir dies auch für die Zukunft sicherstellen wollen. 

Krisensicher aufgestellt zu sein heißt aber auch, dass die Verwaltung bei künftigen Gefahren- oder Katastrophenlagen – wie etwa einer weiteren pandemischen Lage oder einer Finanzkrise – aktiv auf diese reagieren kann und dennoch ausreichend Ressourcen zur Bewältigung bestehender Krisen, wie die sozial-ökologische Umweltkrise vorhält. Schade ist daher, dass unser Vorschlag für externe Unterstützung mit dem Ziel, die Verwaltung aktiv zu entwickeln und Schnittstellen so zu verschlanken und zu digitalisieren, dass zum einen die Verwaltungsmitarbeitenden entlastet werden und zum anderen die Bürger*innenfreundlichkeit verbessert wird, nicht angenommen wurde. Wir hätten uns hier erhofft, auch bei diesem wichtigen Thema konstruktiv eine Lösung zu finden und bieten weiter an, die Gespräche im PersonalAS fortzusetzen. Dem entgegen freuen wir uns sehr, dass nun zwei zusätzliche Stellen in der Kreisverwaltung im Bereich des Katastrophenschutzes geschaffen werden und somit dieser wichtigen Aufgabe des Kreises eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Denn dies wird auch in Zukunft leider immer wichtiger sein. Und so komme ich nun zu unserem zweiten Schwerpunkt:

2. Umfassender Umweltschutz

Diesen Monat veröffentlichte der Weltklimarat den 6. Weltklimabericht. Dieser macht deutlich: Der Klimawandel schreitet schneller voran und die Folgen des Klimawandels sind verehrender als gedacht. Schon zwischen 2030 und 2035 wird das 1,5-Grad-Ziel bei der Erderwärmung überschritten, die Tür zur Abwendung eines unumkehrbaren Klimawandels schließt sich.

Wir müssen HANDELN! Wir kennen die Werkzeuge, wir müssen sie nun nur durch Einsatz unserer Ressourcen und durch politische Entscheidungen anwenden.

Erfreulich ist: In unseren Haushaltsberatungen haben wir festgestellt, dass seitens der Verwaltung die GRÜNE Handschrift im Kreishaushalt, auch ohne politische Einwirkung, von Jahr zu Jahr immer stärker wird, auch wenn es hier weitaus konsequentere Maßnahmen seitens des Kreises bedarf. Denn Umweltschutz muss bei allen Entscheidungen prioritär mitgedacht werden!

Ausreden und vermeintliche Rücksichtnahme auf Gewinninteressen einzelner Unternehmen und Großkonzerne dürfen politische Entscheidungen nicht in dem Maße beeinflussen, wie sie es einst getan haben. Arbeitsplätze und Klimaschutz sind kein Widerspruch, sie sind zwei Seiten einer Medaille, die über unserer aller Zukunft entscheidet. Klimaschutz schafft Arbeitsplätze, Klimaschutz sichert unser aller Wohlstand und unsere Zukunft!

Darum ist es auch gut, dass wir uns gemeinsam – wo immer es geht – dieser großen Verantwortung stellen und auch fraktionsübergreifend eine Machbarkeitsstudie zum Baustoff-Recycling-Zentrum im Rhein-Kreis beauftragen. Der Bausektor hat einen mit bis zu 40 % hohen Anteil am Klimawandel und mit über 50 % ist er an unseren Abfallbergen beteiligt. 

Gelingender Klimaschutz muss alle Menschen mitnehmen. Mit Balkonkraftwerken können zum Beispiel auch Menschen, die kein Eigenheim besitzen, den Klimaschutz vorantreiben und zugleich ihr Portemonnaie schonen. Darum ist eine Förderung von Balkon-Kraftwerken durch den Kreis ein wirklich gelungenes Beispiel, um Menschen zum Mitmachen beim Klimaschutz zu gewinnen.

Es braucht auch Lösungen für den Gebäude-Altbestand. Hier können bivalente Heizsysteme bei der Wärmeerzeugung eine Lösung sein. Hier sollte der Kreis bei seinen eigenen Gebäuden eine Vorbildrolle einnehmen – was sich auch finanziell lohnt. Neben den Wärmeeffizienzlösungen stellt auch die Machbarkeitsstudie zur Bauteil- und Rohstoffbörse einen tollen Ansatz interfraktioneller Zusammenarbeit dar. Lassen Sie uns weiterhin mit solchen konstruktiven Ansätzen unseren Kreis gemeinsam weiter nach vorne bringen!

Mobilität und Erreichbarkeit sind zentrale Voraussetzungen für Teilhabe, wirtschaftlichen Austausch, Beschäftigung und Wohlstand in unserer Gesellschaft. Gleichzeitig ist das derzeitige Verkehrssystem jedoch durch starke Umweltbelastungen gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund freuen wir uns auf das wachsende Radverkehrsnetz, die neuen Schnellbusverbindungen, wie auch das S-Bahnprojekt Rheinisches Revier und können die Fertigstellung kaum noch erwarten. Allerdings können wir uns vorstellen, dass dies sicher schneller und umfangreicher realisiert werden könnte, wenn der Kreis weniger Ressourcen in millionenschwere verkehrspolitische Dinosaurier wie die L361n und die Anschlussstelle Delrath verpulvern würde!

Es reicht aber nicht, dass der Klimaschutz bei uns gelingt. Wir stehen in einer globalen Verantwortung. Darum müssen Ausschreibungen und Einkäufe immer die Interessen aller Menschen im Blick haben. Mit den entsprechenden UN-Standards bei Ausschreibungen und Einkäufen wird deutlich, dass Umwelt und Soziales untrennbar zusammengehören. Wir erwarten, dass wir damit künftig in einem noch höheren Maße solidarisch Verantwortung übernehmen werden. Wobei wir damit bei unserem dritten Schwerpunkt sind:

3. Solidarische Übernahme von Verantwortung

Dass wir in der Lage sind solidarische und humanitäre Verantwortung zu übernehmen, haben wir nicht nur 2015 gezeigt, sondern auch jetzt wieder, wo es darum geht, die Ukraine seit dem furchtbaren Angriffskrieg von Putin z. B. durch die Aufnahme Geflüchteter zu unterstützen. Als Kreis wollen wir uns auch weiterhin beteiligen und ermöglichen, dass es zu gezielten Hilfen in einer Region in der Ukraine kommt.

In NRW sind inzwischen 24 Städte und Kreise eine kommunale Partnerschaft mit einer ukrainischen Kommune eingegangen. Auch das Land NRW hat eine neue Regionalpartnerschaft begründet und den Startschuss für den Ausbau der Kooperation und Zusammenarbeit mit der ukrainischen Oblast Dnipropetrowsk gegeben. Wir möchten deshalb an die Verwaltungsspitze appellieren, und sie bitten, Kontakte zu einem ukrainischen Kreis herzustellen, um eine Partnerschaft aufzubauen, um Möglichkeiten zu schaffen den Menschen in der Ukraine auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen umfassende – nicht nur unsere nun eingestellte monetäre – Hilfe anzubieten. Denn schließlich ist unterm Strich alles ein Geben und Nehmen.

Ausdrücklich hervorheben möchten wir, dass mittlerweile auch im Bereich der Inklusion von Menschen mit Behinderung mehr passiert. Dies sehen wir unter anderem an der Entwicklung der neu geschaffenen niedrigschwelligen Angebote für Fachpraktiker am BBZ oder aber am Engagement des Kreises als Host Town für die Delegationen der Special Olympics World Games in diesem Jahr. Es ist das richtige Zeichen, dass wir die Inklusion im Sport auch im diesjährigen Haushalt angemessen stärken. Wir hoffen natürlich, dass auch die regelmäßigen inklusiven Sportangebote im Kreis, insbesondere im Breitensport, kontinuierlich weiterentwickelt werden.

Doch trotz der positiven punktuellen Entwicklungen hätten wir gerne ein größeres Engagement für Menschen mit Behinderung vonseiten der Verwaltung gesehen. Sie müssen bei Planungen mehr mitbedacht werden, den Angehörigen soll es nicht mit aufwändiger und komplizierter Bürokratie noch schwerer gemacht werden, Teilhabe zu ermöglichen. Hierfür halten wir die Schaffung einer Stabsstelle Inklusion – mit der viele andere Kreise und Kommunen sehr gute Erfahrungen gemacht haben – für zielführend. Doch weitreichende inklusive Strukturen können nicht erzwungen werden, sie müssen gelebt werden. Hierfür sehen wir derzeit in der Verwaltung leider nicht die Voraussetzung, sodass wir den Antrag zur Schaffung einer Stabsstelle Inklusion zurückgezogen haben. Hier werden wir aber weiter dranbleiben!

Dass es sich lohnt, dranzubleiben, zeigt unser aller Erfolg beim Jugendkreistag, der am 18. April seine konstituierende Sitzung im Kreissitzungssaal abhält. Er steckt zwar noch in den Kinderschuhen und ist mit Sicherheit an der ein oder anderen Stelle noch reformbedürftig, aber da wissen bestimmt die Jugendlichen selbst am besten, was das richtige für sie ist und können dann entsprechende Vorschläge für eine Anpassung der Geschäftsordnung machen. Wir wünschen ihnen auf jeden Fall viel Erfolg bei der Beratung und Einbringung eigener Initiativen und die erforderliche Durchsetzungsfähigkeit.

Wir sind sehr gespannt auf die Initiativen und freuen uns auf die Zusammenarbeit!

Fazit

Abschließend möchte ich zusammenfassen:

Ja, ein GRÜNER-Haushaltsentwurf würde deutlich weiter gehen. Es würde vielmehr geschaut werden, – wie auch in meinem Buch beschrieben – welche Mittel uns zu dem Ziel einer krisensicheren und nachhaltigen Verwaltung bringen. Leistungen, die zwar nett gemeint und vielleicht auch für so manch individuelles Interesse wichtig erscheinen, sind dann aus unserer Perspektive nicht die Aufgabe vom Kreis.

Und damit meinen wir nicht, dass beispielsweise eine 50-Jahr-Feier des Kreises nicht gebührend gefeiert werden soll, im Gegenteil, auch Feiern sind ein Teil unserer Kultur, schaffen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und im besten Fall schöne Momente. Aber auch im Bereich Kultur muss man, wenn man verantwortungsvoll handeln möchte, bei der Ausgabe von öffentlichen Mitteln nun mal abwägen: Stellen 25.000 € für die Aktualisierung eines Bildbandes über sakrale Bauten im Rhein-Kreis Neuss, welche man übrigens auch einfach auf Wikipedia finden kann, eine zielführende Investition dar? Sind wir damit besser im Rahmen einer der 5 großen Krisen gewappnet?  Hat dies einen Effekt auf unsere gesellschaftliche Resilienz? Oder fällt uns dann nicht doch eine zielführendere kulturelle Investition ein?

Egal, denn wir wollen unter den jetzigen Bedingungen das Beste draus machen und uns nicht im Klein–Klein verlieren; auch kleine Schritte sind Schritte. Und wir wissen, dass hinter uns und insbesondere der Verwaltung kräftezehrende Krisenjahre liegen. Auch die kommenden Jahre werden anspruchsvoll werden und immer wieder neue Herausforderungen bringen. So möchten wir uns herzlich bei allen Verwaltungsmitarbeitenden bedanken, ohne sie könnten wir das alles nicht schaffen! Unser besonderer Dank geht im Rahmen der Haushaltsberatungen an Herrn Stiller und Frau Roenicke, die uns bei unseren Beratungen für Fragen, Anregungen und Kritik auch abseits der Ausschüsse und des Kreistages zur Verfügung standen. Vielen Dank.

Auch bei den anderen demokratischen Fraktionen möchten wir uns für die meist respektvolle Auseinandersetzung bedanken.

Wir sind überzeugt, dass eine vertrauensvolle, wertschätzende und sachorientierte Politik der richtige Weg für uns im Rhein-Kreis Neuss ist, daher stimmen wir dem Haushalt, der wieder eine deutliche GRÜNE Handschrift trägt, in der nun vorliegenden Version zu.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!