Sonderfonds für Verhütungsmittel für Menschen in besonderen sozialen Notlagen im Rhein-Kreis Neuss

In der Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses stellen wir den Antrag mit unserem modifizierten Beschlussvorschlag und der substantiierten Begründung zu dem am 26.11.2015 einstimmig gefassten Beschluss, unseren Antrag zur weiteren Beratung in die Fraktionen zu vertagen.

Beschlussvorschlag:

Der Rhein-Kreis Neuss richtet einen Sonderfonds in Höhe von jährlich EUR 30.000 zur Kostenübernahme von Verhütungsmitteln für bedürftige Menschen ab dem 20. Lebensjahr in besonderen Notlagen.

Begründung:

Recht auf Familienplanung –  Seit der 1. Menschenrechtskonferenz der UN 1968 gilt Familienplanung als Menschenrecht und damit als Recht eines jeden Menschen auf ungehinderten Zugang zu möglichst sicheren, gesundheitlich verträglichen und finanziell erschwinglichen Verhütungsmethoden. Seit Inkrafttreten des SGB XII, durch den die Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes abgelöst wurden, erhalten Frauen ab dem 20. Lebensjahr keine Kostenübernahme für ärztlich verordnete Verhütungsmittel, also keine Hilfe für Familienplanung.

Kosten –  Im Regelsatz für Empfänger von ALG II Leistungen sind Verhütungsmittelkosten nicht berücksichtigt. Für Gesundheitsfürsorge sind lediglich EUR 17,37 monatlich enthalten.  Auch gesetzlich versicherte Menschen, die Sozialleistungen erhalten, müssen bis zu einer bestimmten Grenze bei ärztlich verordneten Medikamenten und Heilmittel dazuzahlen. Es gibt eine Auswahl von verschiedensten Verhütungsmitteln, die jedoch monatlich den Betrag deutlich übersteigen.

Unterschiedliche Handhabung der Kostenübernahme –  Bundesweit existiert seit der Abschaffung der Hilfe zur Familienplanung durch das SGB XII eine sehr unterschiedliche Handhabung. Letztlich wurde die Hilfe zur Familienplanung damit in die Freiwilligkeit der Kommunen und Kreise degradiert. Viele Kommunen und Kreise haben daher Sonderfonds eingerichtet, aus dem Bedürftigen die Kosten für Verhütungsmittel erstattet werden können: u.a. Hannover, Oldenburg, Delmenhorst, Flensburg, Nürnberg, Ennepe-Ruhr, Recklinghausen, Minden-Lübbecke, Bonn, Rhein-Sieg Kreis, Paderborn, Bielefeld und Münster. Da eine bundeseinheitliche Regelung zur Kostenübernahme nicht in Sicht ist, ist derzeit die Einrichtung eines überbrückenden Hilfsfonds auf kommunaler Ebene die einzige Möglichkeit, zur Kostenbeteiligung. Da ein gleichberechtigter Zugang zu sicheren Verhütungsmitteln für ALG II Bezieherinnen nicht gewährleistet ist, werden Frauen im reproduktionsfähigen Alter, die verantwortlich Familienplanung betreiben wollen, benachteiligt. Die realen Zahlen und die Berechnung zeigen, dass ein planmäßiges Ansparen aufgrund des eng bemessenen Regelsatzes gar nicht möglich ist.

Folgen der Misere –  Während bei der Kostenübernahme bis 2004 rd. 70 % der Frauen sicher verhütet haben, wählen nach der Einführung des ALG II nur noch 30 % der Frauen ein sicheres und kostenintensives Mittel. Die Ergebnisse von Studien bestätigen die Veränderungen im Verhütungsverhalten. Der Anstieg der Frauen, die ein billiges und unsicheres Verhütungsmittel verwenden, ist damit eklatant gestiegen. Frauen verzichten vermehrt ganz auf Verhütung, riskieren ihre Gesundheit und eine ungewollte Schwangerschaft. Durch die Erhöhung von ungewollten Schwangerschaften hat sich auch die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche deutlich erhöht. Der Abbruch ist für die Frauen kostenlos, während die Verhütung einer ungewollten Schwangerschaft das Budget von Hilfeempfängerinnen überschreitet.

Ziel des Sonderfonds –  Frauen und Männer in besonderen sozialen Notlagen sollen entsprechend des Rechts auf Familienplanung die Möglichkeit haben, eine sichere Verhütungsmethode zu wählen, ihre persönliche Lebenssituation zu stabilisieren, unerwünschte Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern.

Anspruchsberechtigung und besondere soziale Notlage  – Anspruchsberechtigt sollen sein:

  • wirtschaftlich bedürftige Frauen und Männer mit 1. Wohnsitz im Rhein-Kreis Neuss, welche berechtigt Leistungen nach SGB II, SGB XII,AsylbLG, BAföG beziehen und/oder Wohngeld bzw. Kinderzuschlag erhalten.
  • Verwertbares Bargeldvermögen darf nicht vorhanden sein

Zudem muss als weitere Anspruchsvoraussetzung für die Hilfegewährung das Vorliegen einer besonderen sozialen Notlage sein, die durch körperliche, geistige oder seelische/psychische Einschränkungen gekennzeichnet ist oder durch besondere belastende Lebensumstände, z.B.

  • schnelle Geburtenfolge und Erschöpfungssyndrom der Kindesmutter
  • instabile Partnerschaft und Wohnungslosigkeit
  • Kontraindikation bezüglich weiterer Schwangerschaften (Probleme bei früheren Schwangerschaften, physische und psychische gesundheitliche Einschränkungen)
  • Überschuldungssituation
  • in einer Schul- oder Berufsausbildung befindlich
  • Schwangerschaftsabbrüche in der Vergangenheit
  • Erfahrungen mit körperlicher und sexueller Gewalt
  • Suchtmittelabhängigkeit

Kostenerstattung für Verhütungsmittel –  Anerkennungswürdig sind alle ärztlich verordneten Verhütungsmittel wie  Kupferkette bzw. –spirale, Hormonspirale und Sterilisation. Die Hilfegewährung erfolgt in Form von Sachleistungen. Um die Eigenverantwortung nicht zu unterminieren, haben die Frauen grundsätzlich einen Eigenanteil selbst zu tragen. Für folgende Verhütungsmittel gelten Höchstgrenzen. Hierzu ist die Vorlage eines Kostenvoranschlages von dem behandelten Arzt/ Ärztin erforderlich:

 

Produkt Höchstgrenze Eigenanteil Kosten aus dem Fonds
Hormonspirale 400,00 € 100,00 € 300,00 €
Kupferkette 330,00 € 100,00 € 230,00 €
Kupferspirale 200,00 € 60,00 € 140,00 €
Sterilisation Frau 600,00 € 100,00 € 500,00 €
Sterilisation Mann 450,00 € 100,00 € 400,00 €

 Verfahrensweise –  Auf Grundlage einer Kooperationsvereinbarung mit dem RKN handeln die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen im Rhein-Kreis Neuss eigenverantwortlich. Sie sollen aus ihrem Beratungsprozess heraus die jeweilige Entscheidung treffen, so dass auch die Anonymität der Frauen gewahrt bleibt. Sie übernehmen das Verwaltungsverfahren (Antragsbearbeitung, Prüfung, Entscheidung, Auszahlung der Hilfe bzw. Rechnungsanweisung, Dokumentation, Rechnungslegung). Die Beratungsstellen sind verpflichtet, jährlich Berichte zu erstellen und stimmen einer Rechnungsprüfung zu. Die Mittelverteilung auf die Beratungsstellen richtet sich nach den vorhandenen Fachkraftstellen.