Dirk Schimanski, Fraktionsvorsitzender
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Landrat,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
500 Milliarden Euro will der Bund für die marode Infrastruktur in die Hand nehmen: Die dafür notwendige Grundgesetzänderung wurde mit den Stimmen von CDU/CSU, der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschlossen. Das macht Hoffnung, auch für den Rhein-Kreis Neuss, denn auch hier bedarf es der Investitionen.
Mobilität
Als ein zentrales Beispiel nenne ich das Projekt „S-Bahn-Netz Rheinisches Revier“ insbesondere auch mit Blick auf eine Befähigung für den Gütertransport. Das ist zeitgemäße, umweltfreundliche Mobilität, die zur Vernetzung beiträgt und die maroden Straßen und Brücken entlastet.
Manch einer in den Reihen hier mag jetzt vielleicht im Stillen hoffen, dass auch für die AS Delrath Gelder abfallen könnten. Doch warum sollte dies passieren? Der zuständige Straßenbaulastträger erachtet sie für nicht notwendig, weshalb sie im Bundesverkehrswegeplan auch nicht vorkommt. Es ist ein nicht rechtssicheres Vorhaben, das viele Fragen aufwirft. Auch haben sich Aspekte der Begründung (Stichwort Gewerbegebiet Silbersee) geändert. Es ist eine verkehrspolitisch aus der Zeit gefallene Maßnahme und, ob der Kreis ein solches Vorhaben aus Mitteln der Kreisumlage planen und finanzieren kann und darf, halten wir für fragwürdig, zumindest für nicht sinnvoll.
Hier loben wir im Gegenzug ein wirklich starkes Mobilitätskonzept, das noch in dieser Wahlperiode beschlossen werden soll.
Klinikum
Für überaus sinnvoll halten wir überdies die 16,5 Millionen Euro, die in den Erhalt des Rheinlandklinikums fließen, auch wenn uns die derzeitigen Ereignisse in dem Kontext besorgen und auch verärgern.
In dem zähen und engagierten Ringen um einen Sanierungsplan, der den Standort Grevenbroich beinhaltet, stand immer eine Aussage zentral im Mittelpunkt: „Zug um Zug!“
Und nun müssen wir feststellen, dass dieses Versprechen nicht eingehalten wurde. Die Notaufnahme in Grevenbroich soll nun zum 1. Juli geschlossen werden und die Notfallpraxis steht nun auch zur Disposition, ohne dass ein Plan existiert, wie die bis dato stattfindenden Zuführungen umverteilt und mit welchen zusätzlichen Transportkapazitäten für die nun längeren Wege und damit höhere Auslastung der Rettungswagen kompensiert werden sollen.
Dass dies in der Bevölkerung zu Verunsicherung und Verärgerung führt, ist mehr als verständlich. Hier müssen wir als Kreis schnell Antworten liefern.
Gleichwohl möchte ich festhalten, dass wir hier fraktionsübergreifend, mit Ausnahme der AfD, die die Schließung von Grevenbroich gefordert hat, sachlich geschlossen hinter den Sanierungsplänen gestanden haben und stehen.
Katastrophenschutz
So haben wir es immer bei den wirklich brisanten Themen gehalten, denn wir waren und sind uns unserer Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger bewusst.
So verfuhren wir auch im Bereich Katastrophenschutz und Bevölkerungsschutzzentrum in einem unaufgeregten Schulterschluss.
Es war in meinen Augen der stillschweigende Konsens, dass dies ein sensibles Thema sei, wo man möglichst geschlossen agieren möchte.
Umso mehr hat mich das Vorpreschen von Frau Reinhold als Landratskandidatin gewundert, die, obwohl nicht Mitglied des Ausschusses, im Erft-Kurier ein halbseitiges Interview zu der Thematik gab. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Kreisumlage
Meine Damen und Herren,
wir haben einen Kreishaushalt vorliegen, der von einem deutlichen Sparwillen geprägt ist. Hier gilt mein Dank an Dr. Stiller und sein Team, denen es gelungen ist, in akribischer Arbeit noch weitere Einsparpotenziale herauszukitzeln und so die Kreisumlage in einem Rahmen zu halten, die nicht, wie befürchtet, Kommunen in die Haushaltsicherung drückt.
Hier haben alle demokratischen Fraktionen bemerkenswerte Haushaltsdisziplin bewiesen und sich auch von Liebhaberprojekten getrennt, dies ist eine wirklich respektable Gemeinschaftsleistung.
Die Forderung der Bürgermeister und der Bürgermeisterin des Kreises nach einer globalen Minderausgabe haben wir daher abgelehnt, denn wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, ohne uns jeglicher Gestaltungshoheit zu berauben, während die Kommunalverantwortlichen, mit Blick auf die anstehende Kommunalwahl selbst eigene Alternativen zur Haushaltssicherung ausgeschlossen haben.
Soziales
Bei allen Sparzwängen begrüßen wir es ausdrücklich, dass der Sozialhaushalt in diesem Jahr nicht übermäßig gekürzt wurde, so z.B. eine Finanzierung für den Verhütungsmittelfonds und das „Interkulturelle Heldennetzwerk“.
Auch begrüßen wir ausdrücklich die Einrichtung eines „Kontakt-Cafés“ in Neuss, um Drogenabhängigen niedrigschwellige Angebote zu unterbreiten. Hier gebührt unser Dank allen Beteiligten unter der Regie von Herrn Küpper für eine beispielhafte konstruktive und effiziente Zusammenarbeit.
Mit Bedauern stellen wir fest, dass unser Antrag auf eine zusätzliche Personalstelle für die Beratungsstellen „Frauen helfen Frauen“ und „Donum Vitae“ nicht bewilligt wurde. Diese Einrichtungen leisten unverzichtbare Arbeit im Bereich der Beratung und Unterstützung von Frauen in schwierigen Lebenssituationen. Eine bessere Personalausstattung hätte die Qualität und Reichweite der Beratungsangebote deutlich gestärkt.
Schule
Für den Schulbereich möchte ich aus Sicht unserer Fraktion den Ausbau von PV-Anlagen auf den Dächern zahlreicher Schulgebäude lobend hervorheben sowie den einstimmig verabschiedeten Neubau für die Förderschule am Nordpark. Die Einweihung des Wasserstofflabors am Berufskolleg Dormagen stellt einen Meilenstein beim Aufbau zukunftsfähiger Ausbildungsberufe dar. Mehr als verdient hätte das Berufskolleg Dormagen den zügigen Baubeginn für die dringend notwendige Sanierung des Schulgebäudes.
Strukturwandel
Ein weiterer strittiger Aspekt in den Haushaltsdiskussionen war der Umgang mit dem Strukturwandel. Ein eh zähes Thema mit interessanten Stilblüten. Unvergessen für mich ist ein Strukturwandelausschuss, wo ein extra eingeladener Referent der Bundesnetzagentur uns aus seiner Sicht schildert, dass er bei der Energiewende keine Probleme sehe, so denn die eingeschlagene Roadmap weiterverfolgt werde. Wenn dann aber selbsternannte Expertinnen und Experten aus der Kommunalpolitik zur Gegenrede starten, den Abgesang auf die heimische Aluminiumindustrie anstimmen, von Krankenhäusern und Fahrstühlen ohne Strom sowie stillstehenden Getreidemühlen fabulieren, dann ist das spooky, dann ist das polemisch und unverantwortlich.
Ich bin dankbar, dass nach anfänglichen Überlegungen unser Ansatz für ein Baustoffrecycling nicht dem Rotstift zum Opfer gefallen ist. Dies ist ein Projekt, das genau mit Blick auf die anstehenden Kraftwerksrückbauten passt und genau die Arbeitsplätze schafft, die hier gerade wegfallen, Schlosser, Elektriker, Maschinenführer, und dies zeitnah realisierbar.
Kernfusion
Ich erlaube mir an dieser Stelle eine Anmerkung zu einem „Konkurrenzprojekt“, der Kernfusion.
Es gibt in Ingenieurskreisen einen Running Gag: Die „Fusionskonstante“.
Demnach liegt die Serienreife dieser sicherlich spannenden und interessanten Form der Energiegewinnung immer 30 Jahre in der Zukunft. Tatsächlich hatte ich im Alter von ca. 10 Jahren ein naturwissenschaftliches Kinderbuch, das mit dieser Prognose einher ging und nun mittlerweile deutlich verjährt ist. Und wir reden hier von einem Versuchsreaktor!
Mit Blick auf einen bayrischen Ministerpräsidenten, der einen Standort in Bayern reklamiert und RWE, das Biblis ins Rennen bringt, ist es doch wohl eher naive Tagträumerei, dass wir als Kreis uns darauf Hoffnung machen und dafür Gelder aufbringen wollen. Hier sind Bodenhaftung und Realitätssinn gefragt.
Umweltschutz
Kommen wir nun aber zu dem Wende- und Scheidepunkt des diesjährigen Haushalts aus unserer Sicht.
Es ist erfreulich, dass wir bei zwei Themen mit hoher Umweltrelevanz Erfolge bei den Haushaltsverhandlungen erzielt haben. Mit den von uns geforderten Mittel für energetische Brückentechnologien – etwa die Mikro-Kerndämmung oder der Einsatz von Tensiden im Wasser des Heizungskreislaufes – lässt sich CO2 nach unserer Einschätzung sofort einsparen und der Kreishaushalt wird binnen kurzer Zeit entlastet. Hier werden also mit grünen Ideen schwarze Zahlen geschrieben. Diese Forderung war für uns tatsächlich eine „Rote Linie“. Vor dem Hintergrund, dass die Klimaneutralität bis 2045 nunmehr Teil des Grundgesetzes ist, wäre ein Haushalt ohne einen entsprechenden Ansatz für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht zustimmungsfähig gewesen. Und, ich bin da ehrlich, ich hatte nicht die Erwartung, dass es hier ein Einlenken geben würde. Daher danke ich den Verhandelnden aller beteiligten Fraktionen ausdrücklich für dieses Ergebnis. Mit zwei Pilotprojekten, hier auch Dank an Herrn Vieten für die konstruktive Begleitung, werden wir hier Potentiale ausloten. Dies macht Hoffnung, dass bei aller bundespolitischer Polarisierung hier, wo man sich kennt, und in die Augen schauen muss, ein anderer Umgang möglich ist.
Zusätzliche Mittel für Klimabäume, die Bürgerinnen und Bürger im Kreisgebiet pflanzen, sind zudem eine Investition in die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder.
Kooperation
Sehr geehrte Damen und Herren!
An dieser Stelle möchte ich auch noch ausdrücklich der SPD-Fraktion unter Führung von Udo Bartsch für die gute Zusammenarbeit in der zurückliegenden Wahlperiode danken.
Auch gilt mein Dank an Sven Ladeck und Herrn Petrauschke dafür, dass man trotz wahlpolitischen Theaterdonners hier vor Ort auch bei Zwistigkeiten immer wieder das Miteinander gesucht hat.
Die Messe ist gelesen, und ich denke, der Tenor ist erkennbar.
Es gäbe Gründe, dem Haushalt nicht zuzustimmen.
Aber die Summe der Kooperationsbereitschaft der demokratischen Fraktionen, nicht zuletzt auf der „letzten Meile“ mit Blick auf die Klimaneutralität, lässt uns, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dem Haushalt mit gutem Gewissen zustimmen.